Ich musste noch einmal bei meinen Eltern wohnen, die sich mit großer Liebe um mich kümmerten. Monate vergingen. Ende Juli fand in der Nähe des Wohnorts meiner Eltern ein Joy Day statt – ein Treffen von Meditationsschülern Sri Chinmoys aus Deutschland und einigen Nachbarländern mit gemeinsamer Meditation, Musik- und Theaterdarbietungen sowie Dia- und Videovorführungen. Pramodan rief mich kurz zuvor an und bot mir an, mich dorthin mitzunehmen. Ich freute mich sehr darauf, war mir aber noch nicht ganz sicher, ob das klappen würde, da ich noch relativ schwach war. In der Nacht vor dem Joy Day hatte ich einen besonderen Traum. Ich träumte, dass ich während eines Joy Days in einer Stadthalle mit großen Glasfenstern und Reihenbestuhlung etwa in der Mitte auf einem geschwungenen hölzernen Stuhl saß. Um mich herum saßen verstreut einige von Sri Chinmoys Meditationsschülern. Plötzlich kam der Tod auf mich zu. Ein Skelett mit schwarzem Kapuzenmantel und einer Sense in der Hand. Der Tod sah so aus, wie er in Filmen manchmal dargestellt wird. Er kam mir immer näher und ich rannte davon. Er verfolgte mich. Plötzlich sah ich mich in einem Zimmer, ich drehte mich um und sah den Tod hinter mir stehen. Es gab kein Entrinnen mehr. Da tauchte plötzlich Dinesh, der großgewachsene, kräftige Bruder von Pramodan auf, schubste den Tod in einen Schrank und drosch mit einem Dreschflegel auf ihn ein, bis er zusammenbrach. Jetzt erschien plötzlich eine Eisenbahn, die auf Schienen in einer Spirale fuhr und Partyszenen, wie von einer neuen Jugendzeit. Dann wachte ich auf. Ich hatte leichte Atemnot, ein Druckgefühl auf meinen Herzen und als ich aufstand, wurde mir schwindelig. Das war neu für mich. Ich legte mich nochmals ins Bett und erholte mich bald trotz der anfänglich heftigen Schwäche. Zum Glück, denn jetzt konnte ich mit Pramodan zum Joy Day fahren. (Foto: Joy Day in Gmunden)
Dort angekommen traf ich sogleich Dinesh. Er und Pramodan erzählten mir, dass Sri Chinmoy seine Münchner Schüler darum gebeten hatte, für mich zu beten, da es mir wieder einmal nicht gut ging. Ich fragte Dinesh, ob er für mich gebetet hat und er bestätigte dies. Dann erzählte ich ihm von seiner Rolle in meinem Traum. Nie zuvor hatte ich vom Tod geträumt und und auch bis heute nicht mehr. Vielleicht hatte ich in dieser Nacht noch einmal den Tod mit Unterstützung der Gebete meiner spirituellen Freude überwunden. Ich erschauerte und gleichzeitig erfüllte mich ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit, für diejenigen, die für mich gebetet hatten.
Die Folge des Krankheitsschubs von 1995 war, dass ich sehr schwach blieb und nur mehr wenig arbeiten konnte, ohne dass ich starke Schmerzen bekam. Deshalb wurde ich mit einer Erwerbsunfähigkeitsrente bedacht und konnte auch mehrere Jahre nicht mehr reisen und meinen spirituellen Meister Sri Chinmoy in New York besuchen.
Wie in jedem Jahr während einer Weihnachtsreise in ein fernes Land zeigte Tirtha Sri Chinmoy im Januar 2001 aktuelle Fotos von den Meditationsschülern aus unserem Zentrum in München. Als Sri Chinmoy das Foto von mir erblickte, sagte er: "Wie geht es Antaranga? Ich habe ihn schon so lange nicht mehr gesehen. Kann er denn nicht mit dem Schiff nach New York reisen?" Tirtha rief sofort aus Bali ihrer Mutter Tapaswini und mir an und erzählte uns voller Freude davon. Ich war tief berührt, dass Sri Chinmoy mich gerne wiedersehen würde, war aber zugleich irritiert, da eine zweiwöchige Schiffsreise für mich zum jetzigen Zeitpunkt noch unmöglicher war als ein achtstündiger Flug nach New York.
Die Anmeldefrist für die jährlichen Feierlichkeiten in New York aus Anlass von Sri Chinmoys Geburtstag verstrich. Im August diesen Jahres würde Sri Chinmoy 70 Jahre alt werden – ein besonderer Geburtstag. Ich fühlte mich nicht kräftig genug für die Reise. 3 Wochen vor dem Beginn der Feierlichkeiten begann ich jedoch wie aus heiterem Himmel zuzunehmen und mehr Kraft zu verspüren. In meiner täglichen Meditation nahm ich mehrfach enorme Freude war, wenn ich daran dachte, nach New York zu fliegen. Folglich rief ich Ashrita, Sri Chinmoys Sekretär, an und teilte ihm mit, dass ich mich fit genug fühle, um nach New York zu fliegen. Er erklärte mir, dass er Sri Chinmoy zuvor fragen wollte, weil er wusste, dass ich aus gesundheitlichen Gründen schon fünf Jahre lang nicht mehr in New York gewesen war und nach wie vor geschwächt war. Sri Chinmoys Antwort war schlicht und ergreifend: "Lass ihn kommen!"
Ich erinnere mich noch genau daran, wie ich am 14. August mit meinem blauen Koffer das Flughafengebäude betrat, noch unsicher, was genau passieren würde. Erstens konnte ich normalerweise nicht weiter als 500 m gehen, ohne erhebliche, langanhaltende Schmerzen zu bekommen, und zweitens benötigte ich rund 25° Celsius Umgebungstemperatur. Ging es in Richtung 23° Celsius fingen meine Lungenspitzen an zu brennen und ich bekam schwächende Schweißausbrüche. So war es bis heute gewesen. Den Weg zum Gepäckschalter und zum Flugzeug bewältigte ich auf jeden Fall schon einmal ohne Probleme, obwohl dort sicher keine 25° Raumtemperatur herrschten. Im Flugzeug selbst zog ich nach dem Start erst einmal meinen Schlafsack aus dem Handgepäck, schlupfte in ihn hinein und stülpte mir zudem eine Decke aus dem Flugzeug über den Kopf. Schließlich wollte ich ja die 8 Stunden Flugzeit in der vielleicht 22° Celsius kalten Luft überstehen. Nach kurzer Zeit wurde es mir zu warm. Ich nahm die Decke vom Kopf, rollte nach einiger Zeit den Schlafsack zusammen und wenig später zog ich auch noch die Skihose aus, die ich über meiner weißen Cordhose trug. Diese Skihose trug ich meist im Alltag, da mein Körper extrem schnell auskühlte. Was ich erlebte, war definitiv ein Wunder. Ich erreichte ohne Schaden erlitten zu haben meine Unterkunft in New York, wo ein Rollstuhl auf mich wartete, um längere Distanzen zu bewältigen.
An einem Tag während der Geburtstagsfeierlichkeiten stand die "Parade" auf dem Programm, ein Umzug mit Kostümen und Festzugswagen der Meditationsschüler Sri Chinmoys, die aus rund 50 Ländern zusammengekommen waren. Der Umzug führte einige Kilometer durch das New Yorker Stadtviertel Jamaica, in dem Sri Chinmoy lebte, und ließ die nähere Umgebung an seinen Geburtstagsfeierlichkeiten teilhaben. Ich beschloss den Rollstuhl heute nicht zu benutzen, da der Startplatz der Parade nur rund 150 m von meiner Unterkunft entfernt war. Dort angekommen, beobachtete ich das bunte Treiben, etwas unbeteiligt, da ich keine Möglichkeit sah, mich in die "Parade" einzureihen. Doch schon bot man mir ein Kostüm an - ein Kopfband und ein Tuch aus Bali. Beides war sehr schön anzusehen. Ich hielt es in den Händen und kurz darauf erblickte ich Sri Chinmoy, wie er in dem Getümmel um sich sah und sich an dem farbenfrohen Aufmarsch erfreute. Sri Chinmoy stand wenige Meter von mir entfernt und blickte weg von mir in die Menge. Plötzlich fühlte ich, wie eine Kraft aus ihm austrat, auf mich zukam und in mich eintrat. Was war das gewesen? Der Umzug formierte sich und begann sich in Bewegung zu setzen. Die tolle Stimmung ermutigte mich dazu, das rote Kopfband und das dunkelrote Tuch mit den goldenen asiatischen Mustern umzubinden und mitzumarschieren. Ein kleines Stückchen nur, dachte ich, denn sonst bekomme ich starke Schmerzen und zudem würde ich mir von dem stark auskühlenden Wind, der heute herrschte, eine Erkältung holen. Nach einer Weile wurde mir bewusst, dass ich schon weit mitgegangen war. So weit, dass ich normalerweise schon Schmerzen bekommen hätte. Aber ich hatte keine Schmerzen. Irgendwann später, beschloss ich, mich auf einen Umzugswagen zu setzen. Ich wollte nichts herausfordern und doch noch Schmerzen bekommen. Von dem Festzugswagen aus, auf dem die Musikgruppe 'Japaka Orchestra' spielte, winkte ich fröhlichen den vorbeikommenden Passanten zu. Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich den heftigen Wind nicht mehr wahrgenommen hatte. Einfach deswegen, weil er mich nicht mehr auskühlte. Als die "Parade" zu Ende war, wurde mir klar, dass ich erneut der Zeuge von etwas Außergewöhnlichem geworden war. Sri Chinmoy hatte auf mich eine Kraft übertragen, die mich den festlichen Umzug völlig unbeschadet überstehen ließ. (Foto: Antaranga - links vorne winkend - auf Umzugswagen mit Japakas Orchestra in New York, 2001)
Auf der Rückreise von New York nach München traf ich meinen Freund Pramodan am Flughafen. Wir hatten beide, ohne es zu wissen, den gleichen Rückflug gebucht. Meinen Schlafsack hatte ich nicht mehr im Handgepäck dabei, da ich inzwischen wusste, wie kraftvoll Sri Chinmoys schützende Kraft sein kann, ob er nun ganz in der Nähe war oder Tausende von Kilometern von mir entfernt. Pramodan und ich unterhielten uns angeregt im Flugzeug, als Pramodan mich nach einigen Minuten auf die kalte Luft aufmerksam machte, die aus einer der Belüftungsdüsen über uns blies. Ich hatte den für ihn störenden kalten Luftstrom, der auch mein Haupt segnete, nicht bemerkt. Der Luftstrom aus den Düsen ließ sich nicht regulieren und so bat mich Pramodan, dass wir uns auf einen anderen Platz setzen. Mehr ...
Schicksalswandel Teil III