Gedanken zu Kunst und Spiritualität

Schon oft bin ich der Frage nachgegangen, was einen zum Künstler macht. Ist es das Talent zu malen, zu singen, zu tanzen oder Skulpturen zu formen? Ist es das abgeschlossene Studium, die Professionalität? Oder ist es der lockere Lebenswandel, der mit allen Normen bricht?

Meinem Wesen nach bin ich Künstlerin, da ich ein natürliches Bedürfnis habe, mich durch Musik, Bilder, Bewegung und schöpferische Ideen auszudrücken. Dennoch hatte ich oft eine gewisse Abneigung, mich als Künstlerin zu bezeichnen, weil es meinem Gefühl auch Stolz und Eitelkeit zum Vorschein kommen lässt. Warum?

Wenn man sich umschaut, ist dieses Merkmal manchen Künstlern eigen, meistens denen, die im Rampenlicht stehen. Sie fühlen sich als etwas Besonderes, da sie schöpferisch sind und oft mit tieferen Wirklichkeiten in Verbindung stehen. Ihr Gefühlsleben ist reich und überschwänglich, sie leben nicht in einer vom Verstand dominierten Schubladenwelt. Sie sind Individualisten, heben sich von der Masse ab. Aber genau diese Lebensweise kann zu einem gewissen Hochmut verleiten und die Eitelkeit fördern.

Wer sich mit Yoga beschäftigt, erkennt sehr schnell, dass es das menschliche Ego ist, welches nach Ruhm und Ehre hungert und sich einen Namen machen will. Bewundert zu werden vermittelt natürlich Befriedigung und ein gewisses Glücksgefühl. Aber für wie lange? Kann ein solches Leben wirklich erfüllt sein und bleibendes Glück mit sich bringen? Und was passiert, wenn die Anerkennung von außen schwindet, oder der eigene Körper nicht mehr mitmacht?

Ich glaube, dass wenige Menschen erkennen, dass Selbstdisziplin und künstlerisches Schaffen eng zusammen gehören. Doch gerade die Meisterschaft über sich selbst kann uns befähigen, der schöpferischen Welt gegenüber viel offener zu sein. Yoga und Meditation zeigen uns den Weg dahin.Wir müssen zu einem reinen Kanal werden. Je reiner wir werden, desto empfänglichere Instrumente werden wir. Wir werden reiner, je freier wir von uns selbst, von unserem kleinen menschlichen Selbst werden.

Wie es Sri Aurobindo ausdrückt, heißt rein zu sein, einzig für den göttlichen Einfluss empfänglich zu sein. Was ist das Göttliche? Das allumfassende schöpferische höchste Bewusstsein, das sich in millionenfachen Formen auszudrücken sucht.

Das spirituelle Leben führt uns dahin zu erkennen, dass wir als Mensch mehr als nur ein bloßes Geschöpf Gottes sind, wir sollen Partner Gottes werden. Das können wir aber nur dann, wenn wir in äußerster Bescheidenheit und Demut anerkennen, dass wir Instrumente einer höheren Macht sind. Woher kommen denn die schöpferischen Einfälle, wenn nicht von der uns umgebenden, uns durchdringenden geistigen Welt? Was haben wir denn schon dafür getan, dass wir sie empfangen können? Nicht Stolz sollte uns überwältigen, wenn wir etwas Schönes erschaffen, sondern Dankbarkeit für dieses Geschenk.

Viele Yogis und spirituelle Lehrer haben sich über Kunst geäußert. Sri Chinmoy beweist durch sein eigenes Beispiel am eindrucksvollsten, wie Kunst zu einem Mittel der göttlichen Offenbarung werden kann. Auf eine Weise, die mich als einfachen Menschen überwältigt und herausfordert. Welch grenzenlose Fülle an Musik, Bildern, Poesie und weisheitsvollen Schriften strömt da durch einen einzigen Menschen! Und welch hohen Anspruch stellt er an die Qualität! Nicht so sehr an die äußere Form, die haben ja schon Tausende anderer Künstler zur Vollendung gebracht. Nein, sein Anspruch liegt im Bewusstsein. Die eigene Schöpferkraft muss sich hoch, höher, am höchsten aufschwingen, wenn sie etwas Bedeutsames manifestieren will. Ich muss also tief meditieren, meinen Verstand still und durchlässig machen, in meinen Gefühlen rein sein. Auf diese Weise trete ich in Verbindung mit meiner göttlichen Natur. Erst dann kann ich den Menschen etwas Neues und Wahres anbieten.

Wie sehr wünschte ich, dass ich immer in diesem Fluss von Inspiration leben könnte, ohne auf Barrieren wie Lustlosigkeit, innere Leere, Mutlosigkeit oder Müdigkeit zu stoßen!

Ich kann mich gut erinnern, wie sehr mein Streben danach, einen künstlerischen Beruf zu erlernen, beeinträchtigt wurde durch das Auftauchen von eben diesen Hindernissen, durch die Abhängigkeit von meinen Stimmungen. Mein Wunsch konnte sich nicht darüber hinwegsetzen. Ich musste also an meiner inneren Verfassung arbeiten. Bevor ich etwas vom Yoga wusste, versuchte ich es mit psychologischen Methoden und mit autogenem Training, aber es war nur ein oberflächlicher Versuch, der mir keine innere Kraft verlieh, die ich aber so dringend brauchte.

Später fand ich die richtige spirituelle Literatur, die mir die Augen über die Natur des Menschen und den Sinn des Lebens öffnete. Kurze Zeit darauf kam ich in Kontakt mit Schülern von Sri Chinmoy und wurde bald darauf selbst eine. Es war mir klar geworden, dass ich nur durch den Yoga, durch die innere Arbeit an mir selbst und durch die Hilfe der Meditation zu dem werden konnte, was ich sein wollte. Zuallererst wollte ich glücklich sein, anhaltend und tief glücklich, denn die innere Freude ist die Kraft, die mich zu allem beflügelt. Ohne Freude kann es auch kein echtes künstlerisches Schaffen geben. Wer aus der Nacht menschlicher Verzweiflung und Depression heraus schafft, kann der Menschheit auch nur verdorbene Früchte anbieten. 

Durch die Meditation und das spirituelle Leben kann ich mehr und mehr erkennen, wie sehr es auf das Bewusstsein ankommt, in dem sich ein Künstler befindet, weniger auf die äußere Form, die er erschafft, auch wenn sie den Sinnen zunächst schmeichelt.

Wer erfahren möchte, welche Antworten Sri Chinmoy auf diese Fragen gibt, dem empfehle ich, sein Buch „Die Quelle der Musik“ (The Source of Music) zu studieren.

Gott manifestiert sich im Physischen durch Schönheit, hat es Sri Aurobindo einmal formuliert. Das heißt dann aber auch, dass jede Kunst, alle Schönheit mit dem Göttlichen in Verbindung stehen muss. Ist sie davon getrennt, kann sie nicht wirklich schön sein.

Yoga zeigt uns, welche verschiedenen Bewusstseinsebenen es gibt, von der höchsten bis zur niedrigsten. Dabei heißt niedrig nicht notwendigerweise schlecht, sondern am weitesten vom Göttlichen entfernt. Und daher ist das Licht dort nur im geringsten Ausmaß zu finden.

Ein spiritueller Künstler versucht, göttliches Licht zu manifestieren. Er muss daher erst mit dem Licht eins werden, muss sein Bewusstsein erheben und erleuchten. Und das ist Yoga – Vereinigung mit Gott.

Man kann Yoga sehr wohl als die höchste Kunst bezeichnen. Sind wir erst einmal auf der Leiter zum Licht empor geklettert, ist es leicht, Schönes und Fruchtbares herabzubringen. Wollen wir etwas Bleibendes schaffen, müssen wir zuerst vom Hauch des Ewigen berührt worden sein.

Die Yogis lehren uns, dass in den höheren Welten bereits alles existiert, was auf der materiellen Ebene manifestiert wird. Es ist alles schon da. Wir brauchen nur die Früchte vom Baum zu pflücken. Das können wir aber nur, wenn wir auch auf den Baum hinaufklettern. Wie? Durch spirituelles Streben, durch Gebet und Meditation.

Wenn wir dann aber wieder auf die Erde herabsteigen und die Früchte den anderen anbieten, wie können wir dann so eitel und stolz darauf sein, etwas Großartiges erschaffen zu haben? Wir sind ja lediglich die Überbringer gewesen. Der Schöpfer selber sitzt auf dem Wipfel des Baumes.

Natürlich kenne ich das alles von mir selbst, sonst könnte ich auch nicht darüber schreiben. Mein eigenes künstlerisches wie spirituelles Wachsen begann mit Verzagtheit und Selbstzweifeln und stärkte sich dann an der Anerkennung und Bewunderung durch andere. Jeder braucht Anerkennung und Ermutigung, um daraus Schwung für neue Taten zu schöpfen. Aber irgendwann muss der Stolz auf mich selbst der Dankbarkeit gegenüber dem Einen weichen, der mir Seine Gnade geschenkt hat. Und erst dann kann ich zu einem besseren und vollkommeneren Instrument werden. Erst dann wird die Inspiration in reichem Maße durch mich hindurchfließen, ohne dass ich darauf warten muss. Weil sie dann nämlich nicht mehr behindert wird von kleinlichen egoistischen Bestrebungen. Letztendlich sollte sich ja alles menschliche Tun, ob in der Kunst, der Wissenschaft oder der alltäglichen Routine dem einen großen Ziel unterordnen: sich so in den Göttlichen Willen einzufügen, dass eine harmonische Einsseins-Welt möglich wird.

Ich habe immer wieder das Bild eines großen Orchesters vor Augen: Spielt jeder nach eigener Lust und Laune, wird der Gesamtklang ein schauerliches Chaos sein. Fügt sich aber jeder den Weisungen des Dirigenten, wird die harmonischste Musik erklingen. Die Kunst besteht darin herauszufinden, welche Note ich zu spielen habe, damit ich im großen kosmischen Orchester Wohlklang erzeugen kann. Mit anderen Worten, wie ich mit Gottes Willen eins werden kann.

Das ist es auch, was alle großen spirituellen Meister lehren: die höchste Kunst, die höchste Errungenschaft ist die vollkommene Überantwortung meines ganzen Daseins an das Höchste Selbst. Die Freude, die ich dann werde kosten können, wird alles bisherige in den Schatten stellen. Ein reines Instrument in den Händen Gottes sein.

I tried to become good.
   God laughed at me.
I tried to become great.
   God laughed at me.
I tried to become perfect.
   God laughed at me.
Finally I said to God:
“My Lord, I shall become
what You want me to become.”
My Lord smiled at me and said:
“My child, now you are truly mine
and I am all yours."

Sri Chinmoy

All das sind Fragen, die sich mir auf dem spirituellen Weg stellen und die Suche nach einer Antwort führt mich mehr und mehr zur Wahrheit, zu meinem wirklichen Selbst. Und auf einmal weiß ich, dass es nicht wichtig ist, ob ich Künstlerin bin oder Angestellte… Ich bin eine Reisende auf einem Weg, der endlos ist, weil er in die Ewigkeit führt, ich bin eine Suchende, weil an jeder Wegbiegung wieder in Frage gestellt wird, was ich bereits entdeckt habe. Und so geht es weiter und weiter. Mag dieser Weg auch endlos sein, langweilig ist er nie.

Künstlerisches Tun wird zu einem Mittel, das auszudrücken, was ich auf diesem Weg erfahre und wie ich meine Entdeckungen mit anderen teilen kann - die Freude, die Reinheit, die Schönheit, die Liebe…

Was anderes tut denn mein verehrter Meister Sri Chinmoy, als Tag für Tag dem inneren Erleben ein äußeres Kleid zu verleihen, spirituelle Wahrheit so anzubieten, dass sie für jeden Menschen fassbar wird? Der eine spricht auf Musik an, der andere auf Dichtung, der nächste auf Form und Farbe. Wie keinem anderem zuvor gelingt es ihm, die Unermesslichkeit göttlicher Schöpferkraft in irdische Formen zu gießen. Ist nicht allein das schon genug, sich in größter Hochachtung vor ihm zu verbeugen? Tut er es um des Ruhmes willen? Ganz sicher nicht. Ein echter Yogi lebt jenseits dieses menschlichen Bedürfnisses. Warum dann? Vielleicht aus Liebe zur Menschheit, aus tiefstem Mitgefühl für unseren Hunger nach Schönheit, Ewigkeit und Glück?

Sri Chinmoy ist ein spiritueller Meister, er hat die spirituellen Reichtümer entdeckt und will sie mit uns teilen. Weil wir sie erst noch entdecken müssen und er uns einen Weg dahin zeigen kann. Uns gewöhnlichen Menschen ist wahre Selbstlosigkeit noch fremd, darum sind wir geneigt ihn misszuverstehen, wenn er aus der traditionellen Abgeschiedenheit einer Höhle im Himalaya heraustritt an die Öffentlichkeit, um die Menschheit in ihrer Länge und Breite anzusprechen. Sein Yogaweg sprengt alle herkömmlichen Traditionen und geht in neue Dimensionen:

Einer neuen geeinten Welt des Miteinanders entgegen.