Die Seele meiner Mutter

jogyata-dallas.jpgEs gibt eine Geschichte von Buddha, in der zu lesen ist, dass sich, als er zum ersten Mal die Erleuchtung erhielt, sogar die Tiere und Vögel des Waldes um ihn herum versammelten, weil sie von seiner Ausstrahlung und seinem Licht angezogen wurden. Die Geschichte erzählt weiter, dass später, als er in seiner Erleuchtung weiter fortgeschritten war und in der Welt umher wanderte, um anderen zu dienen, die Vögel und Tiere ihn nicht mehr bemerkten – er war über jenes anfängliche Stadium der Erleuchtung hinausgegangen und jetzt war kein Selbst mehr übrig, um noch bemerkt zu werden.
Als Sucher inspirierte mich diese einfache Geschichte und erinnerte mich daran, Heiligkeit und Spiritualität eher in Bescheidenheit und ohne Ego zu suchen, als in offenkundigen und offensichtlichen Manifestationen in der Form, wie wir andere beurteilen.

 

Meine Erinnerung an meine Eltern, besonders an meine Mutter, ist gefärbt von dieser Auffassung der Dinge. Ich betrachte es als Glück, so großzügige, bescheidene, gutherzige und liebevolle Eltern zu haben, an die ich mich sogar jetzt noch, wo sie beide diese Welt verlassen haben, mit viel Bewunderung und gegenseitiger Liebe erinnere. Das Scheiden meiner Mutter von dieser Welt war wie ihr Leben, anmutig und einfach und berührt von einer gewissen Bescheidenheit, von Humor und Charme.

Ich erinnere mich an ihr letztes Abschieds-Winken aus dem Fenster, als ich von unserem letzten Beisammensein wegfuhr: ihr Gesicht am Fenster neben ihrem Bett, mit empor gehobener Hand ‘Auf Wiedersehen’ sagend. Bei ihrem Begräbnis spielten meine Frau Subarata und ich Aufnahmen von Sri Chinmoys Komposition "Phire Chalo"; wir lasen Abschnitte aus seinen Schriften über die Natur des Lebens und des Todes – und dass es das Geheimnis des Lebens ist, dass es keinen Tod gibt. Ich erinnere mich an ein bestimmtes Gefühl in meinem Herzen, als ob ich an einem gewissen Ereignis oder an einer Erfahrung in der inneren Welt teilgenommen oder diese wahrgenommen hätte, die mit der scheidenden Seele zu tun hatte.

Einen Monat später in New York – als ich auf einer Bank sitzend meditierte, während Sri Chinmoy Tennis spielte – stieg in mir plötzlich dasselbe Gefühl hoch und ich wusste, dass die Seele meiner Mutter da war. In diesem Augenblick hörte Sri Chinmoy auf Tennis zu spielen, ging zurück zu seinem blauen Häuschen und setzte sich. Dann rief er mich zu sich. Er sagte mir, dass die Seele meiner Mutter ihn des öfteren besucht hatte. "Tatsächlich", sagte Sri Chinmoy, "war die Seele deiner Mutter gerade jetzt da." Ich sagte: "Ich weiß, Meister, ich glaube dir. Gerade jetzt fühlte ich, dass sie hier war." Und so bestätigte Sri Chinmoy äußerlich, was ich innerlich gefühlt hatte.

Sri Chinmoy hatte das Herz meiner Mutter schon Jahre zuvor bei seinem ersten Besuch in Neuseeland beim Besuch eines Flötengeschäft in Auckland gewonnen. Ich stellte sie vor und sagte: "Meister, das ist meine Mutter Anne." Sri Chinmoy stand neben mir, legte seine Hand auf meine Schulter, lächelte sie mit jenem göttlichen Lächeln an, das nur er hat und sagte: "Ich bin so stolz auf deinen Sohn." Auf diese Weise, in diesem einfachen Moment, stahl Sri Chinmoy das Herz meiner Mutter.